Vielleicht erinnern Sie sich, dass Platon den Tag in vier 6-Stunden-Einheiten aufgliedert: Arbeit, otium (göttliche Muße, Entspannung), Hygiene, Schlaf. Diesmal wollen wir uns mit der göttlichen Muße beschäftigen, der Entspannung. Die Natur arbeitet rhythmisch, der menschliche Körper hat seinen Bio-Rhythmus, und deshalb ist es für den Menschen wichtig, seinen Alltag ebenfalls in einem gesunden Wechsel von Spannung und Entspannung zu gestalten. Nur so bleiben wir fit und ausgeglichen und können die täglichen Anforderungen und Pflichten zufrieden stellend erfüllen.
Richtige Entspannung ist eine Kunst, die man oft erst erlernen muss. Nicht umsonst ist otium die „göttliche“ Muße, d.h., die richtige Entspannung kann eine sehr erhebende und beglückende Erfahrung und ein wertvoller Beitrag zur individuellen Sinnfindung sein. „Die Muße war in der Antike das gesellschaftliche Ideal“, sagt der Historiker Raimund Wünsche, Leiter der Staatlichen Antikensammlung in München. „Leider hat das Christentum dann aus der Muße den Müßiggang gemacht. Was kein Geld brachte, galt fortan als unnütz.“
Die moderne Entwicklung zeigt aber, dass sich immer mehr Menschen immer mutiger zum Nichtstun bekennen. Eine Ethnologin sagt: „Gerade wer nichts tun will, macht letztlich immer irgendetwas. Er blickt aus dem Fenster, beobachtet im Straßencafé Menschen, spielt mit einem Kugelschreiber oder schmökert in einem Buch.“ Das entspannte Sein im Hier und Jetzt ist ein uraltes Bedürfnis der Menschen. Sokrates glaubte, in der Muße „den schönsten Besitz von allen“ gefunden zu haben, Aristoteles hielt „die Muße für die Schwester der Freiheit“ und Cicero sagte, dass „Nichtstun erquickt“.
Diese Muße ist etwas anderes als das totale Sich-Hängen-Lassen vor dem Fernseher, in der Disco, mit dem Computerspiel, im Internet oder ähnliches. Dieses Freizeitverhalten ist eine Flucht vor sich selbst, eine Flucht vor eigenen Gedanken oder vielleicht quälend scheinenden Sinnfragen. Die ganze Medien- und Computerindustrie, die oft willensschwache oder phantasielose Menschen versklavt und manipuliert, macht sich damit meiner Meinung nach schwerer psychischer Vergehen schuldig.
Problematisch daran ist vor allem die daraus entstehende Unfähigkeit, mit sich selbst etwas anzufangen: das Nicht-Aushalten-Können von Ruhe, Frieden und Nichtstun. Man ist angewiesen auf das ständige Geplapper der Sinne, man braucht einen immer währenden Input, um sich selbst zu spüren. Wobei man eigentlich nicht sich selbst, sondern nur seine Sinneseindrücke wahrnimmt. Ein Großteil der Bevölkerung in den Industrienationen lebt so bzw. wird so gelebt und manipuliert. Und auch die Kinder werden so erzogen. Wenn Kinder über Langeweile klagen, bringen die Eltern schuldbewusst neues Spielzeug, Zeichentrickvideos oder schleppen die Kinder in Ballett-, Mal-Musikkurse oder ähnliches. Doch ständige „Action“ bringt den Kindern nichts, ganz im Gegenteil: Kinder brauchen „Lange Weile“, um Kreativität entwickeln zu können und zu lernen, ihre Zeit selbst zu gestalten. Unter anderem dient dies der Suchtprävention, wie moderne Studien herausgefunden haben.
Bei Platons otium oder „göttlicher Muße“ war Entspannung immer mit einer Erhebung der Seele verbunden. Dazu gehörten die Beschäftigung mit Philosophie – also die Suche nach der Weisheit -, gute Gespräche über geistige Themen, Besuche der Tempel oder heiligen Haine und das Darbringen von Opfergaben und Gebeten, um mit den Göttern in Beziehung zu treten, oder andere Betätigungen, die den Menschen ruhig werden ließen. Den Griechen war auch die heilsame Wirkung der Schönheit sehr bewusst, deshalb pflegten sie einen wahren Kult der Ästhetik, der sich u.a. durch die Harmonie der Bauten und Statuen ausdrückte; schon der Aufenthalt in einer so gestalteten Umgebung war erhebend und befreiend.
Ein wichtiges Element der Entspannung klingt hier schon an: das Vermeiden von Stress und Hektik und die Annahme eines ruhigeren und gelasseneren Lebensrhythmus – zumindest in der „Freizeit“. Nun ein paar konkrete Ideen und Anregungen.
Das muss man möglicherweise erst herausfinden. Patentrezepte gibt es nicht, und was den einen entspannt, ist für den anderen vielleicht belastend.
Man kann nur etwas lernen, was man regelmäßig tut. Und unser Alltag bekommt eine ganz neue Qualität, wenn wir uns durch bewusste Freizeitgestaltung immer wieder „ausklinken“ und auf unsere innere Achse besinnen.
Ob beim Wandern, Schi fahren, Segeln, Surfen, … der Kontakt mit der Natur ist eine wertvolle Quelle der Erneuerung. Wobei man durchaus auch nicht aktiv sein muss, sondern z.B. einen Sonnenuntergang in den Bergen betrachten oder das Meer belauschen kann.
Da wir in einer lärmerfüllten Welt leben und unsere Sinne ständig arbeiten müssen, ist jede Form von Ruhe durchaus entspannend. Sei es in der Natur, in einer Kirche, im Kloster, in den eigenen vier Wänden, im Bett …
Sei es durch Sport, eine erfüllte und innige Sexualität, Fitness (wie z. B. Sauna), Massage, Tanzen, Atemübungen … Schon die alten Griechen erkannten die Wichtigkeit der regelmäßigen körperlichen Ertüchtigung.
Malen, Musizieren, Singen, Träumen, Handwerkliches, … oder Kunstbetrachtungen in Museen. Der Kontakt mit Schönheit, Ästhetik und Phantasie beflügelt die Seele.
Gute Bücher, Lektüre klassischer Texte, philosophische Gespräche, Briefe oder Tagebuch schreiben. Auch unser Geist will sich entfalten und ernährt werden.
Nichtstun, Träumen, Faulenzen, Beobachten, Spielen, Blödeln, … nicht nur Kinder, auch wir sollen ausgelassen sein, um das, worauf wir bisher verzichtet haben, auszuleben.
Interessieren wir uns für unsere Mitmenschen und deren Geschichten. Hören wir ihnen wirklich zu, helfen wir ihnen, teilen wir uns mit, besprechen wir Erfahrungen und Erlebnisse. Lächeln wir ihnen zu und widmen wir uns auch einsamen Menschen.
Fragen wir uns regelmäßig, ob wir die richtigen Dinge tun, ob unser Leben auch mit unseren innersten Wünschen und Erwartungen übereinstimmt. Bin ich auf dem richtigen Weg? Werde ich zufrieden sterben können? Der Kontakt mit göttlichen, spirituellen Ebenen gehört auch dazu. Doch dazu mehr in den nächsten Folgen …
Viele entspannende Mußestunden wünscht Ihnen
Gudrun Gutdeutsch &
Treffpunkt Philosophie Zürich
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