„Es war einmal ein junger Bauer, der wollte seine Liebste treffen. Er war ein ungeduldiger Geselle und viel zu früh gekommen. Und verstand sich schlecht aufs‘ Warten. Er sah nicht den Sonnenschein, nicht den Frühling und die Pracht der Blumen. Ungeduldig warf er sich unter einen Baum und haderte mit sich und der Welt. Da stand plötzlich ein graues Männlein vor ihm und sagte: „Ich weiß, wo dich der Schuh drückt. Nimm diesen Knopf und nähe ihn an dein Wams. Und wenn du auf etwas wartest und dir die Zeit zu langsam geht, dann brauchst du nur den Knopf nach rechts zu drehen, und du springst über die Zeit hinweg bis dahin, wo du willst.“ Er nahm den Zauberknopf und drehte: und schon stand die Liebste vor ihm und lachte ihn an. Er drehte abermals: Und saß mit ihr beim Hochzeitsschmaus. Da sah er seiner jungen Frau in die Augen: Wenn wir doch schon allein wären…Wenn unser neues Haus fertig wäre…Und er drehte immer wieder. Jetzt fehlen uns noch die Kinder und drehte schnell an dem Knopf. Dann kam ihm neues in den Sinn und konnte es nicht erwarten. Und drehte, drehte, dass das Leben an ihm vorbei sprang, und ehe er sich’s versah, war er ein alter Mann und lag auf dem Sterbebett. Und merkte, dass er schlecht gewirtschaftet hatte. Nun, da sein Leben verrauscht war, erkannte er, dass auch das Warten des Lebens wert ist. Und er wünschte sich die Zeit zurück.” (Heinrich Spoerl (1887-1955), dt. Schriftsteller)
Aristoteles hat gelehrt, dass jede Tugend die Mitte zwischen zwei Lastern ist. Auch wenn die Tugend der Geduld von ihm nicht explizit erwähnt wird, lässt sich diese „Goldene Regel“ auch auf diese Eigenschaft anwenden. Geduld steht demnach in der goldenen Mitte von einerseits Ungeduld, Hast, Eile und andererseits Langsamkeit sowie Trödelei. Das Wort „Geduld“ geht auf das Urgermanische „ga-thuldis“ zurück und hatte wohl eine indogermanische Verbwurzel, die mit tragen und ertragen in Beziehung steht. Das lateinische Wort ist „patientia“. Geduld steht in engem Zusammenhang mit der Zeit und dem richtigen Zeitpunkt. Gerade im Frühling erwarten wir die ersten warmen und sonnigen Tage oft mit Ungeduld, aber schon die Japaner wussten: Wenn man lange genug wartet, kommt das schönste Wetter.
Der Zen-Buddhist, der ganz im Hier und Jetzt lebt, und mit Gelassenheit, Ruhe und innerem Frieden in seinem Zen-Garten mit dem Rechen die Furchen des Kieses zieht, vermittelt ein Bild des ganz im Tao, dem Dharma verankerten Philosophen, der immer weiß, wann es Zeit wofür ist. Ist es nicht interessant, dass gerade der Uhrmacher, der für uns die quantitative Zeit messbar machen kann, nur mit Geduld und Gelassenheit eine Uhr zusammenbauen kann? Für viele handwerkliche Tätigkeiten braucht man Geduld, man denke nur an das Einfädeln einer Nadel, und so steht diese Tugend mit anderen „wirtschaftlichen“ Tugenden in Beziehung, dem Fleiß, der Ordnung, Sparsamkeit und Ausdauer. Der Mensch „übt“ Geduld bei seiner Arbeit, und oft kann ein winziger Augenblick der Ungeduld alles vorher Erschaffene ruinieren.
Geduld ist die Tugend des weisen Menschen mit Lebenserfahrung, Ungeduld die Schwäche der Kindheit und Jugend. Man denke nur an Kinder im Advent, denen die Zeit viel zu langsam vergeht und denen man mit Schokolade im Adventskalender das Warten aufs Christkind versüßt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe gelernt, das Warten (meist) zu genießen… Zumindest, wenn schöne Ereignisse bevorstehen.
Man sagt ja auch
„Vorfreude ist die schönste Freude“.
Geduld ist eine der wichtigsten Tugenden im zwischenmenschlichen Bereich. Da geht sie einher mit Sanftmut und Nachsicht und ist getragen von der Liebe. Und sie muss gepaart sein mit Hoffnung und Zuversicht und dem Vertrauen, dass ein Mensch das, was er jetzt noch nicht kann, später sehr wohl schafft. So ist sie eine sehr philosophische Tugend, denn sie glaubt an das Gute, Schöne und Gerechte im anderen, an seine unentdeckten Potenziale und Fähigkeiten. „Geduld ist eine Form des Glaubens“, sagte der Philosoph, J. A. Livraga. So ist Geduld auch eine spirituelle Tugend, die von der Macht des Geistes über die Materie überzeugt ist. Auf der geistigen Ebene sind wir alle vollkommen, göttlich und edel – so lehren zahlreiche alte Kulturen und Weise der Menschheit. Und nach und nach wird sich die Vollkommenheit manifestieren – auch wenn uns manche unserer Mitmenschen derzeit noch auf die Palme bringen (die größte Geduld brauchen wir mit jenen Leuten, mit denen wir intensiven Kontakt pflegen!)
Geduld brauchen wir auch, um eben die anderen Menschen, die – genauso wie wir selbst noch nicht vollkommen sind – ertragen zu können. Das ist ein weiterer Aspekt der Geduld. Man muss auch einmal etwas aushalten können, was einem nicht gefällt. Wie wir ganz oben festgestellt haben, steht die Wortwurzel von Geduld mit „tragen, ertragen“ in Beziehung. Hier handelt es sich keineswegs um eine passive Haltung, sondern ein aktives „Auf-Sich-Nehmen“ der Probe, die einem das Leben bietet. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an eine Flugreise, die ich gemeinsam mit dem Leiter von Neue Akropolis Österreich unternahm. Die Passagierin neben ihm roch äußerst ungepflegt, und als ich ihn bedauerte, dies jetzt über zwei Stunden ertragen zu müssen, meinte er nur trocken, er würde es als Probe sehen. Mit dem Wissen, dass alles vorübergeht, kann man aus jedem Ungemach eine Chance machen, daran zu wachsen. Alle Probleme des Daseins sind eine Gelegenheit, unsere Geduld und Gelassenheit zu aktivieren.
1.) Jegliches Warten nützen zu einer Übung der Gelassenheit – in dem Wissen, dass Sie mit ihren negativen und ungeduldigen Gedanken nur sich selbst schaden.
2.) Sobald Sie mit einem anderen Menschen ungeduldig werden, machen Sie sich seine Stärken und Potenziale bewusst.
3.) Nehmen Sie jene Dinge als Probe, die Sie nicht ändern können und nutzen Sie dieselben, um zu wachsen.
Wappnen Sie sich mit Geduld wünschen Ihnen
Ihre Gudrun Gutdeutsch &
Ihr Treffpunkt Philosophie Zürich
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